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Dr.-Ing. E.h. Peter Leibinger

Leibinger: "Photonik ist disruptiv"

E in Essay von Peter Leibinger, Chief Technology Officer (CTO) und stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung der TRUMPF Gruppe, über digitale Photonik.

Mit seinem selbstgebauten Handy machte der Hightech-Tüftler Phillipe Kahn ein Foto von seiner neugeborenen Tochter und versandte es an 2.000 Freunde und Verwandte. Das erste Handyfoto war aufgenommen und verschickt! Für das Magazin „Life“ gehört es zu den 100 Fotografien, die die Welt verändert haben. Mittlerweile werden allein auf Facebook wöchentlich 200 Millionen Bilder hochgeladen, und Schätzungen zufolge erreicht die Zahl der verkauften Smartphones mit integrierter Kamera 2017 knapp zwei Milliarden. Die digitale Photonik verleiht der digitalen Welt kräftig Aufwind. Treffender wäre daher die Bezeichnung „disruptive Photonik“.

Auch wenn die Photonik im Alltag allgegenwärtig ist, bleibt sie meist unsichtbar. Ein Beispiel liefert das Internet: Heute zirkulieren dort 14 Millionen Mal mehr Daten als noch vor zwölf Jahren. Nur mithilfe des Lichts kann der Mensch diesem enormen und beständigen Datenwachstum Herr werden. Die Lebensadern unserer modernen Gesellschaft und Wirtschaft bestehen aus Licht: ein Millionen und Abermillionen Kilometer langes Netz aus Glasfasern überzieht den Erdball.

Licht in der Arbeitswelt

Ein anderes Beispiel ist die Fertigung, in der Lasertechnik dank einzigartiger Flexibilität und Präzision extrem vielfältig eingesetzt wird – vom Schiffs- bis zum Computerchipbau. Nur durch Laserlithografie ist es in der Halbleiterindustrie möglich, Strukturen so klein wie ein Virus auf Chips abzubilden. Der Rekord liegt derzeit bei 14 Nanometern; der gemeine Erkältungserreger Rhinovirus ist doppelt so groß. Dabei rücken Chips in der Größenordnung von fünf Nanometern dank EUV-Lithografie in greifbare Nähe. Im Alltag profitieren wir davon durch schnellere, günstigere und effizientere Smartphones und Computer.

Licht weltweit

Außerdem gäbe es ohne die Photonik kein Licht: 19 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs entfallen auf Beleuchtung aller Art, die die Photonik durch Weißlicht-LEDs so energieeffizient wie keine andere Technologie gemacht hat. Würde die ganze Welt komplett auf LED-Beleuchtung umstellen, ließe sich der Stromverbrauch halbieren und der CO2-Ausstoß um 750 Millionen Tonnen pro Jahr reduzieren.

Licht in der Wissenschaft

Zudem wurden dank der Photonik neue Mikroskope entwickelt, die die Beobachtung lebender biologischer Zellen erlauben und damit die Grundlage für die Bekämpfung zahlreicher Krankheiten, unter anderem Krebs, bilden. Auch in der Wissenschaft nimmt die Photonik einen zentralen Stellenwert ein, da Spektroskope, Mikroskope oder Weltraumteleskope auf Lasern unterschiedlicher Größe basieren.

Digitales Licht für intelligente Technologien

Ohne Photonik als Basistechnologie gäbe es auch keine Digitalisierung. Das eine hängt vom anderen ab. Ein Beispiel hierfür ist vernetztes Licht, das viele neue Anwendungen eröffnet. Hierfür werden Straßenlaternen mit Sensoren und Kameras ausgestattet und vernetzt werden, um die Luftqualität zu überwachen sowie Ortungsdienste und Verkehrssteuerungs-Apps zu unterstützen. Zudem sollen sie über Kommunikationsfunktionen verfügen, die unter anderem über freie Parkplätze informieren und autonome Fahrzeuge dorthin navigieren. Weltweit gab es 2015 etwa 350 Millionen Straßenlaternen – ein Netzwerk, das es zu nutzen lohnt! Digitales Licht dient somit nicht mehr nur der Beleuchtung, sondern unterstützt auch intelligente Technologien.

Dank EUV-Lithografie rücken Chips in der Größenordnung von fünf Nanometern in greifbare Nähe.
Bild: TRUMPF

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Industrie 4.0 macht die Fertigung so flexibel wie noch nie. Optische Sensoren und Messgeräte liefern hierzu die notwendigen Daten.
Bild: TRUMPF

Der 3D-Druck wird zu einem wesentlichen Herstellungsverfahren mit enormem Einsparungspotenzial avancieren.
Bild: TRUMPF

TRUMPF

Ultraschnelle Laser mit Pulsdauern im Femto- und Attosekundenbereich erzielen extreme Leistungen.
Bild: TRUMPF

Das Auge der Industrie 4.0

Ein weiteres revolutionäres Konzept ist derzeit in aller Munde: Industrie 4.0. Damit wird die Fertigung so flexibel wie noch nie, weshalb Laser als vielfältig einsetzbare Werkzeuge eine Schlüsselrolle einnehmen. Optische Sensoren und Messgeräte liefern die notwendigen Daten. Die Photonik verleiht der Industrie 4.0 gewissermaßen Augen und Sinnesempfindungen. Bisherige Laser-, Sensor- und Maschinenhersteller werden ihr Geschäft jedoch auf softwarebasierte Hardware umstellen müssen, während die digitale Fertigung die Konvergenz von Hard- und Software vorantreibt.

Flexibles Werkzeug für verschiedenste Kundenanforderungen

Im Zeitalter von Industrie 4.0 müssen Werkzeuge flexibel einsetzbar sein und mit ihrer Umgebung und neuen Maschinenschnittstellen kommunizieren können. Roboter werden als sogenannte Cobots an der Seite der Mitarbeiter in die Produktion eingebunden und können sich dank bildverarbeitender Sensoren und intelligenter Algorithmen risikolos frei im Werk bewegen. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine sind innovative Kamerasysteme notwendig, die ihre Umgebung wie das menschliche Auge erfassen und Schärfentiefe, Bewegungen und Oberflächenstrukturen erkennen. Laut einer Barclays-Studie werden bis 2025 weltweit jährlich 500.000 neue Cobots verkauft werden.

Eine weitere wichtige Säule von Industrie 4.0 sind additive Herstellungsverfahren und 3D-Druck. Letzterer stellt in der Fertigung die bisher einzige übergangslose Verbindung zwischen digitaler und physischer Ausführungsform dar und wird sich zu einem bedeutenden neuen Herstellungsverfahren entwickeln. Geringere Komplexität, höhere Genauigkeit und viele weitere Faktoren führen nicht nur zu beträchtlichen Einsparungen, sondern auch zu neuen Möglichkeiten und mehr Spielraum beim Design.

Dr.-Ing. E.h. Peter Leibinger

ist Chief Technology Officer (CTO) und stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung der TRUMPF GmbH + Co. KG. Er ist verantwortlich für Forschung und Entwicklung, Vertrieb und Service sowie den Auf- und Ausbau neuer Geschäftsfelder. 1967 in Stuttgart geboren. Studium des Maschinenbaus an der RWTH Aachen, Abschluss als Diplom-Ingenieur. Seit 1994 Gesellschafter der TRUMPF GmbH + Co. KG. Von 1997 bis 1999 Entwicklungsingenieur bei der Ingersoll Milling Machine Company, Rockford, IL/ USA. Von 1999 bis 2003 Chairman und CEO bei TRUMPF, Inc., Farmington, CT/USA. Seit 2000 Geschäftsführer der TRUMPF GmbH + Co. KG. Seit 2003 Vorsitzender des Geschäftsbereichs Lasertechnik und von 2003 bis 2005 Geschäftsführer der TRUMPF Laser GmbH + Co. KG. Seit November 2005 ist Peter Leibinger stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung der TRUMPF GmbH + Co. KG. Daneben nimmt Leibinger zahlreiche ehrenamtliche Aufgaben wahr.

Licht in der Mobilität

Autonome Fahrzeuge werden unsere Mobilität revolutionieren. Auch sie beruhen auf der Photonik, denn ohne optische Sensoren, Digitalkameras und Displays sowie computergestützte Bildverarbeitungssysteme, die sowohl mit sichtbarem Licht als auch mit Infrarotstrahlen arbeiten und sekündlich mehrere Millionen Datenpunkte ermitteln, blieben selbstfahrende Autos Wunschdenken. Unsere Branche treibt diese Entwicklung derzeit maßgeblich voran. Der Photonik dürfte sich hier bis 2020 ein Marktvolumen von neun Milliarden Euro eröffnen.

Extremes Licht mit grenzenlosem Einsatzpotenzial

Ein weiteres Schlüsselelement ist extremes Licht. Ultraschnelle Laser mit Pulsdauern im Femto- und Attosekundenbereich erzielen extreme Leistungen. Zwar kommen derartige Laser bereits in der Produktion zum Einsatz, doch arbeitet das europäische „Extreme Light Infrastructure“-Projekt (ELI) an leistungsstärkeren Ausführungen.

Extrem hohe Pulsenergien ebnen den Weg für bahnbrechende Technologien wie alternative Teilchenbeschleuniger und die Erzeugung von Synchrotronstrahlung für unter anderem medizinische Zwecke. Heutige Teilchenbeschleuniger kosten mindestens einhundert Millionen Euro und haben einen Durchmesser von mehreren hundert Metern. Denkbar wäre nun ein Mini-Synchrotron mit Ultrakurzpulslaser zur Erzeugung von Ionen- oder Protonenstrahlen, die in der Krebsbehandlung und für neue Formen der Krebsdiagnostik eingesetzt werden.

Die so erzeugte Energie könnte sogar zur Transmutation von Atommüll in harmlose Isotope mit sehr kurzen Halbwertszeiten beitragen. Die Einsatzmöglichkeiten von Hochenergie-Lasern scheinen keine Grenzen zu kennen.

Digitalisierungstreiber

Als vielversprechende Hightech-Branche entwickelt die Photonik hochmoderne Technologien für einen Markt, der bis 2020 ein Volumen von weltweit 650 Milliarden Euro erreichen dürfte. Doch das ist nicht alles: Auch der Digitalisierung wird sie in vielerlei Hinsicht den Weg bereiten. Damit gehen sowohl große Chancen als auch Risiken für unsere Branche einher.

Ihr Potenzial liegt auf der Hand. Doch wandeln sich mit den Branchen, die wir bedienen, auch unsere Märkte. Auch wir müssen uns anpassen. Wir verändern und werden dabei verändert. Wenn wir es geschickt anstellen, wird die Photonik zum Dreh- und Angelpunkt aller wichtigen Themen der digitalen Gesellschaft. Die Lösung liegt darin, den Wandel voranzutreiben, statt ihm zum Opfer zu fallen.

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Walter
TRUMPF