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Athanassios Kaliudis

Hirnforscher Karl Deisseroth über die Frage nach dem freien Willen

P rof. Karl Deisseroth will das Gehirn verstehen. Darum entwickelte er mit der Optogenetik eine Methode, per Laser Gedanken und Entscheidungen zu beeinflussen.

Herr Deisseroth, was ist das Gehirn?

Das menschliche Gehirn ist ein weiches, aber dennoch sehr dichtes Objekt mit einer Farbe zwischen pink und braun. Es wiegt ungefähr anderthalb Kilo und ist faltig. Diese Falten ermöglichen uns übrigens, hochkomplex zu denken.

 

Sie kommen vom Aussehen sofort auf die Funktion des Denkens. 

Ja, weil es zusammenhängt. Machen wir uns nichts vor: Das Gehirn ist ein Ding aus Materie, ein Organ aus Zellen. Und trotzdem fühlt sich diese Einsicht für uns seltsam an. Denn gleichzeitig ist das Gehirn Quell all unserer Gedanken, Gefühle, Wünsche, Erinnerungen und Eindrücke, also unserer Persönlichkeit. Alles, was uns als Person ausmacht, entsteht aus einem Haufen Zellen, die wir Neuronen nennen – wie ist das möglich?

 

Das frage ich Sie: Wie ist das möglich?

Eigentlich ist das eine philosophische Frage: Was ist das Gehirn denn jetzt? Am Ende, so denke ich, stimmt einfach beides: Das Gehirn ist ein dynamisches Objekt und besteht sowohl aus Zellen als auch aus dem, was diese Zellen erschaffen. Optogenetik hilft uns zu verstehen, wie diese Zellen etwas verursachen: Empfinden, Erkennen, Handeln. Diese Methode erlaubt es uns, wie ein Dirigent mit Informationen zu spielen. Denn wir können verschiedenen Zellen in verschiedenen Arealen im Gehirn sagen, was sie wann tun sollen, sie in Synchronie bringen oder eben nicht. Und dann schauen wir uns an, welches Empfinden, Erkennen und Handeln daraus folgt.

 

Jetzt haben Sie gleich Ihr Fachgebiet, die Optogenetik, ins Spiel gebracht. Bitte erklären Sie kurz, worum es hier geht.

In der Optogenetik verwenden wir Laserlicht genau andersherum als sonst in der Biologie. Wir benutzen es nicht, um etwas zu beobachten, sondern um etwas auszulösen. Vereinfacht gesagt bringen wir per Laserlicht bestimmte Neuronen dazu, zu feuern – wir regen sie also an, elektrische Impulse abzugeben und damit Informationen im Gehirn zu verursachen. Das funktioniert so: Normalerweise reagieren Neuronen nicht auf Licht. Wozu auch? Im Gehirn ist es immer dunkel. Also brauchen wir einen Trick. Wir injizieren über einen künstlichen Virus ein lichtaktives Gen ins Gehirn, das einen Lichtimpuls in einen elektrischen Impuls umsetzt. Mit weiteren genetischen Kniffen können wir sehr genau feststellen, welche Neuronen mit dem Gen „infiziert“ werden. Der Vorteil dieser Laser-Methode liegt darin, dass wir sehr präzise auswählen können, welche Neuronen wir stimulieren. Viel präziser als mit jedem anderen Verfahren. Wir machen das bislang nur mit Mäusen. Wir stimulieren also nur bestimmte Neuronen im Mäusehirn, beobachten, was dann geschieht und lernen dadurch ihr Gehirn kennen.

 

Wenn man Ihren Namen in eine Suchmaschine eingibt, landet man schnell bei einem Video mit einer Maus. Diese Maus hat ein Laserlichtkabel, das direkt ins Gehirn führt. Führt das Kabel Licht, rennt die Maus im Kreis herum. Führt es kein Licht, verhält sie sich ganz normal. 

Ja, das ist ein Experiment von 2011. Wir stimulieren mit unserer optogenetischen Methode den motorischen Kortex der Maus, der für Bewegungen in die linke Richtung zuständig ist. Drücken wir den Laserknopf, rennt sie immer nach links, also im Kreis herum.

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Was fühlt die Maus, wenn ihre Entscheidungen gesteuert werden? - Gernot Walter

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Karl Deisseroth wagt den Selbstversuch mit einer transkraniellen Magnetstimulation. Sein Daumen zuckt. - Gernot Walter

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Die Fernsteuerung fühlt sich einfach nur okay an. - Gernot Walter

Was fühlt die Maus dabei? Fühlt sie sich fremdbestimmt oder denkt sie, sie wolle jetzt im Kreis rennen?

Wissen können wir das natürlich nicht, aber wir können es sehr gut erkennen, wenn eine Maus verstört oder verängstigt ist, denn dann erstarrt sie. Nichts davon beobachten wir, wenn wir das Laserlicht im Kabel einschalten oder es wieder ausschalten – alles normal. Da wir davon ausgehen, dass es die Maus beunruhigen würde, wenn sie sich von einer fremden Macht kontrolliert fühlte, schließen wir, dass es für die Maus in Ordnung ist – auch wenn sie wahrscheinlich nicht geplant hat, links herum im Kreis zu laufen. Ich habe so etwas Ähnliches bei mir selbst auch ausprobiert, weil ich genau das wissen wollte: Wie fühlt es sich an? Ich habe mit transkranieller Magnetstimulation den motorischen Kortex angeregt, der meine rechte Hand steuert. Wenn ich den Magnetimpuls einschaltete, zuckte mein Daumen. Ich sah und spürte, wie ich mich selbst bewegte. Dabei hatte ich weder das Gefühl, dass ich mich bewegen wollte, noch dass ich fremdgesteuert werde. Es war einfach so: Mein rechter Daumen bewegte sich und das war okay so.

 

Was sagt uns das über den freien Willen?

Eigentlich nichts Neues. In der Medizin und in der Psychiatrie beeinflussen wir ständig, was Menschen tun und fühlen: durch Medikamente, Gehirnstimulation oder einfach nur durch Gesprächstherapie. Denken Sie auch an Werbung: Was ist das anderes als die Manipulation Ihrer Wünsche? Ist Optogentik da jetzt fundamental anders? Sie zeigt doch lediglich, dass unsere Handlungen und Entscheidungen über elektrische Signale realisiert werden. Ich glaube allerdings nicht, dass diese Erkenntnisse wirklich die Frage beantworten, ob wir einen freien Willen haben. Aber Optogenetik hilft uns, unsere Fragen präziser zu stellen. Zum Beispiel: Gibt es eine organisierende Kraft, ein Prinzip im Gehirn, das die elektrischen Signale steuert? Und wenn ja, wie tief sitzt die? Manche denken, es gebe keine oder jedenfalls keine besonders interessante. Andere denken, es gebe eine solche Kraft. Aber woher könnte dann wiederum diese Kraft kommen? Die Frage nach dem freien Willen bleibt jedenfalls vorerst unbeantwortet.

 

Natürlich beeinflussen wir die Gefühle anderer die ganze Zeit; allein schon durch ein einfaches Gespräch. Aber diese Fernbedienung – das ist doch eine andere Qualität. Wie fühlt es sich denn für Sie selbst an, eine Maus fernzusteuern? 

Es ist eine machtvolle, bedeutungsvolle Erfahrung. Es schafft eine Verbindung zu einem Tier – jedes Mal aufs Neue ein Wunder. Ich glaube, es ist die Unmittelbarkeit, die prompte Reaktion, die die Erfahrung so machtvoll macht.

 

Beunruhigend ist es aber doch auch, oder?

Absolut. Die Präzision, Unmittelbarkeit und Vorhersagbarkeit, mit der wir Handlungen auslösen können, kann einen schon beunruhigen. Ich verstehe das.

 

Kann Optogenetik irgendwann einmal zur Manipulation von Menschen missbraucht werden?

Das glaube ich nicht. Die Technik eignet sich nicht sonderlich gut zum Missbrauch. Man muss ein Gen entwickeln und es über einen Virus einbringen. Es ist alles sehr unpraktisch, langwierig, teuer und kompliziert. Aber natürlich ist es wichtig, auch über unwahrscheinliche Möglichkeiten nachzudenken.

 

Wir reden hier ja immer von „dem Gehirn“. Ist denn jedes menschliche Gehirn gleich?

Einiges ist gleich, anderes nicht. Wir sind davon überzeugt, dass die großen Prinzipien allen menschlichen Gehirnen gemeinsam sind. Zum Beispiel, dass Dopamin-Neuronen in jedem Gehirn in etwa dasselbe tun, nämlich Gefühle von Glück und Zufriedenheit auslösen. Unsere Experimente an Ratten und Mäusen legen das nahe. Aber wenn man genau hinschaut, wird es schwieriger: Der Aufbau des Gehirns ist im Detail nicht vorgegeben. Es ist ein Durcheinander an Zellen, die individuell unterschiedlich arrangiert sind. Sie sehen, es ist kompliziert.

 

Ihre Arbeiten überschreiten viele Fächergrenzen: Virologie, Psychiatrie, Tierverhalten, Optik, Mikrobiologie, Chemie – was sind Sie eigentlich von Beruf?

Hm, ja, das stimmt. In erster Linie sehe ich mich als Neurologen und Psychiater.

 

Woher kommt Ihre Faszination für das Gehirn? 

Ich war schon als Kind introspektiv und interessierte mich dafür, wie mein eigenes Gehirn funktioniert und warum ich die Dinge tat, die ich tat. Und später kam dann das Interesse für die anderen: Jeder war so unterschiedlich, reagierte auf Ähnliches anders – warum war das so? Im Medizinstudium arbeitete ich dann mit Psychiatriepatienten. Da waren die Reaktionen oft noch weniger vorhersehbar, manchmal hatten die Patienten eine ganz eigene Konzeption von Realität. Das faszinierte mich und ich verliebte mich in dieses Fachgebiet. Aber ich sah auch das Leid und die Not der Patienten. Beides wollte ich lindern. Besonders zwei Krankheiten interessieren mich: Autismus und die schwere, behandlungsresistente Depression – sehr strapaziöse Krankheiten für Patienten und kaum zu therapieren, weder medikamentös noch irgendwie anders. Im Laufe meiner Karriere will ich es schaffen, diese Krankheiten besser zu verstehen.

Arbeiten Sie an einer neuen Therapie?

Ich therapiere als Psychiater immer noch jede Woche Patienten in der Klinik, aber als Wissenschaftler arbeite ich grundsätzlicher: Es geht mir derzeit nicht um eine konkrete Therapie, sondern um das Verständnis, wie ein Gehirn normalerweise funktioniert. Und mit der Optogenetik haben wir die langfristige Perspektive, Hypothesen endlich präzise prüfen zu können. 

 

Wie weit sind wir noch von dem Ziel entfernt, unser eigenes Gehirn zu verstehen?

Schwer zu sagen, aber wir verstehen weniger als 50 Prozent davon, das ist sicher. Trotz des raschen Fortschritts der vergangenen Jahre: Auf uns wartet immer noch ein weiter Ozean voller Mysterien.

Kann ein Gehirn denn überhaupt das Gehirn verstehen?

Irgendwann ja, dafür würde ich mein Geld auf uns als Menschheit setzen. Denn wir Menschen sind einfach sehr gut darin, Dinge zu verstehen, die zu verstehen wir eigentlich kein Recht haben. Wir denken symbolisch, wir kartografieren, entwerfen Analogien und reduzieren Komplexität. Mit höherdimensionaler Mathematik etwa können wir Bereiche verstehen, die uns eigentlich verschlossen sein sollten. Eines Tages knacken wir auch das Gehirn.

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1971 geboren in Boston, ist Psychiater, Neurobiologe und Bioingenieur an der Stanford-Universität in Kalifornien. Er gilt als der Begründer der Optogenetik, einer Fachrichtung, die das Gehirn erforscht, indem sie Neuronen mit Laserlicht anregt. Außerdem entwickelte er ein Verfahren, postmortale Gehirne so zu konservieren, dass sie lichtdurchlässig sind. Dadurch wird die dreidimensionale Gehirnstruktur verstehbar. Deisseroths Forschungen wurden mit 23 prestigeträchtigen Wissenschaftspreisen ausgezeichnet, darunter dem Berthold Leibinger Zukunftspreis 2018.

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