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Klassische Röntgenbilder wie hier haben nur eine geringe Auflösung. Mit William Graves’ Strahlen werden deutlich bessere Aufnahmen möglich.
Athanassios Kaliudis

„Alle wollen die Röntgen-Revolution“

E xtrem hochauflösende Röntgengeräte sind wahnsinnig teuer, aufwendig im Betrieb — und daher selten in Anwendung. Deshalb sehen die Bilder noch immer fast so aus, als hätte Wilhelm Röntgen sie selbst gemacht. Prof. William Graves will das ändern und plant die Röntgenrevolution.

Sie arbeiten an einer Röntgenstrahlquelle, die so groß ist wie ein Wohnzimmer und etliche Millionen Dollar kostet. Wer will denn so was?

Alle.

Alle?

Naja, natürlich nicht wirklich alle. Aber alle, die in Gegenstände, Tiere oder Menschen schauen möchten, ohne sie zu öffnen.

Das kann man doch jetzt auch schon. Was ist das Besondere an Ihrer Röntgenstrahlquelle?

Sie schließt eine riesige Lücke. Schauen Sie: Auf der einen Seite gibt es die normalen Röntgengeräte in den Kliniken und Praxen. Ihre Auflösung und Leuchtdichte haben sich jedoch seit Wilhelm Conrad Röntgens Zeit, also seit rund hundert Jahren, so gut wie gar nicht verbessert. Auf der anderen Seite haben Forscher mittlerweile sehr viel bessere Röntgenstrahlquellen für den wissenschaftlichen Gebrauch entwickelt: X-Ray Free-Electron-Lasers, abgekürzt XFEL. Deren Leuchtdichte ist um den Faktor einer Milliarde höher als bei den Geräten, die Ärzte einsetzen. Man nutzt die Strahlen, um Vorgänge auf molekularer und atomarer Ebene zu beleuchten. Diese XFELs sind also wirklich gut.

Aber?

Das Problem ist: XFELs kosten mehr als eine Milliarde Dollar in der Anschaffung und 100 Millionen Dollar pro Jahr im Betrieb — denn sie funktionieren nur mit kilometerlangen Teilchenbeschleunigern. Was haben wir also? Eine gute, aber wahnsinnig aufwendige Technik, die nur wenige Leute benutzen können, und eine veraltete Technik für die breite Anwendung in Arztpraxen. Dazwischen klafft die Lücke, die ich meine.

William Graves ist außerordentlicher Physikprofessor am Biodesign Institut für angewandte Strukturelle Erkenntnis an der Universität Arizona. Auf deren Campus entsteht gerade ein Neubau. In diesem Raum wird Graves bald seine revolutionäre Röntgenstrahlquelle konstruieren. (Bild: Marc Mintz)

Und wie wollen Sie diese Lücke schließen?

Wir werden eine hochwertige Röntgenstrahlquelle bauen, die an die Qualität eines XFELs heranreicht. Sie wird aber nur zehn Meter lang sein und wenige Millionen Dollar kosten. Wir nennen sie Compact X-Ray Light Source. Forscher an Unis und in Industrielaboren werden damit arbeiten. Und natürlich Ärzte in großen Kliniken. Die Auswirkungen auf Medizin und Forschung werden riesig sein.

Was wird man denn mit Ihrer Röntgenstrahlquelle Neues machen können?

Erstens macht sie hochwertige Röntgenstrahlen für sehr viel mehr Menschen nutzbar. Daraus wird dann Neues entstehen: neue Anwendungen, neues Wissen. In der Medizin wird man mit unseren Röntgenstrahlen unglaublich hoch aufgelöste Bilder vom Inneren des Körpers zu sehen bekommen, zum Beispiel verschiedene Arten weichen Gewebes — sowohl als Foto wie auch als Video. Damit sieht man dann etwa Tumore oder Verstopfungen von Arterien und kann sogar erkennen, ob diese Tumore und Verstopfungen gefährlich sind oder nicht. Und eine alte Beschränkung fällt endlich weg: Die hochwertigen Röntgenstrahlen haben so gut wie keine negative Auswirkung auf den Körper. Sie können sich bedenkenlos röntgen lassen, so oft es eben nötig ist. Und schließlich gleicht unsere Röntgenstrahlquelle ein Manko der großen Röntgenanlagen aus: den Mangel an Phasenkohärenz. Somit kann es sogar deren Performance um den Faktor Hundert verbessern.

Gibt es noch weitere mögliche Anwendungen?

Wie viel Zeit haben Sie? (grinst)
Es gibt unzählige mögliche Einsatzgebiete in Forschung und Entwicklung. In der Pharmaforschung beispielsweise wird es auf einmal ganz einfach sein, im Hauslabor die molekulare Struktur verschiedener Proteine zu untersuchen. Dasselbe gilt für die Materialforschung an Universitäten und Laboren von Unternehmen. Beispiel Halbleiterindustrie: Im Moment bauen die Ingenieure die Architektur von Halbleitern quasi blind. Mit den hochwertigen Röntgenstrahlen werden sie sie sehen können. Galerien und Auktionshäuser werden Gemälde röntgenspektroskopisch untersuchen und auf Echtheit überprüfen können.

In Australien hat man auf diese Weise sogar schon ein übermaltes Meisterwerk von Edgar Degas entdeckt. Archäologen können die materielle Zusammensetzung von Artefakten herausfinden und ihre Datierungsmethoden verbessern. Sie sehen: Anwendungen gibt es wirklich viele. Verborgenes, Kleines wird auf einmal massenhaft sichtbar.

Wie kriegen Sie das technisch hin?

Wenn Elektronen abgebremst werden, entstehen Röntgenstrahlen. Im Teilchenbeschleuniger bremsen die Forscher den Elektronenstrahl, indem sie ihn mit starken Magneten in einem sogenannten Undulator ablenken und auf eine Wellenbahn zwingen. Der Undulator ist eine Magnetgasse und besteht aus vielen Magnetkomponenten hintereinander, abwechselnd gepolt. Er stößt die Elektronen in ihrer Flugbahn mal aufwärts, mal abwärts und schüttelt sozusagen die Röntgenstrahlen aus ihnen heraus. Damit das funktioniert, muss das Elektron aber bereits eine extrem hohe Geschwindigkeitsenergie haben — darum ja der kilometerlange Teilchenbeschleuniger. Wir machen das anders. Unsere Elektronen dürfen weniger Energie haben, denn wir schütteln sie schneller; dazu benutzen wir Laserpulse statt eines Undulatormagneten.

Das müssen Sie erklären.

Laserpulse sind elektromagnetische Wellen, haben dementsprechend auch ein magnetisches Feld. Und das nutzen wir. Eine gewöhnliche Magnetkomponente in einem Undulator ist rund drei Zentimeter lang. Drei Zentimeter, um ein Elektron einmal zu schütteln. Mit Picosekunden Laserpulsen schaffen wir den gleichen Schütteleffekt auf einer Strecke von nur einem Mikrometer, also dreißigtausendmal kürzer. Das Schütteln wird dreißig-tausendmal schneller. Darum reicht uns ein simpel gehaltener, schwacher Teilchenbeschleuniger von nur einem Meter Länge. Wir fokussieren die Elektronen mit Magneten von weiteren neun Metern Länge. Daraus erhalten wir Photonen mit einer Wellenlänge im kurzwelligen Röntgenbereich — wie aus einem XFEL.

Was muss der Laser können, damit das alles funktioniert?

Der Laser ist das Schlüsselelement der ganzen Anlage. Da die Pulse ein festes Undulatorfeld imitieren sollen, brauchen wir eine Laserquelle, die wahnsinnig stabil ist in mehrerlei Hinsicht: Die Repetitionsrate muss konstant sein und mindestens ein Kilohertz betragen. Die Energie des Lasers bei jedem einzelnen Puls muss immer exakt dieselbe sein. Und die Pulse dürfen nicht herumwandern — wir brauchen höchste Zielgenauigkeit. Das Timing der Pulse muss stimmen. Nur TRUMPF Scientific Lasers in München konnte uns demonstrieren, dass sie fähig sind, diese hohen Stabilitätsanforderungen umzusetzen. Sie haben den neuen Laser über zwei Jahre hinweg in enger Absprache mit uns entwickelt. Das dauerte ein bisschen länger als erhofft, aber das Ergebnis ist wirklich gut und wir sind sehr froh, TRUMPF hier als Partner zu haben.

Wann kann man das Röntgengerät bestellen?

Wir bauen die Anlage gerade in unserem Institut zusammen. Wir kooperieren mit verschiedenen Firmen und Kliniken. Es ist immer schwierig zu prognostizieren, wann die Erprobungsphase endet und man die Vermarktung starten kann. Ich denke aber, in spätestens fünf Jahren kann jeder diesen kompakten XFEL kaufen.

Woher kommt Ihre Begeisterung für Röntgenstrahlen?

Klar interessiere ich mich für Röntgenstrahlen, aber was mich wirklich begeistert, ist etwas anderes. Als ich zwanzig war, wusste ich nicht so richtig, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Ich liebte exotische Autos. Also schraubte ich zehn Jahre lang tagsüber an Ferraris und besuchte abends Kurse in Physik. Da wurde mir klar, dass ich ausgefallene Maschinen mit komplizierten Mechanismen mag. Über Freunde bekam ich dann einen neuen Job und arbeitete als Techniker an einem Teilchenbeschleuniger — also an noch komplizierteren Mechanismen. Meine Leidenschaft für Strahlenphysik brachte mich dann schnell darauf, eine Doktorarbeit zu schreiben, um noch mehr mit diesen komplexen Maschinen arbeiten zu können. Auch die Compact X-Ray Light Source ist ja im Grunde nur eine exotische Abfolge komplizierter Mechanismen — mein persönlicher Ferrari sozusagen. 

William Graves. (Bild: Marc

Mintz)

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