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Athanassios Kaliudis

Gravitationswellen messen und das Universum neu entdecken

M it Gravitationswellen lassen sich Dinge über das Universum herausfinden, zu denen die Menschheit bisher keinen Zugang hatte. Aidan Brooks misst solche Gravitationswellen – und erwartet große Überraschungen.

Das Aufspüren von Gravitationswellen war und ist ein großer Aufwand und kostet einen Haufen Geld. Ist es das wert?

Ganz ohne Zweifel: ja! Die erste Entdeckung eines Gravitationswellen-Signals 2015 war wichtig und schön. Einer meiner Freunde ließ sich das Signal sogar auf den Arm tätowieren. Die eigentliche Bedeutung steckt allerdings darin, dass wir das Entstehen eines völlig neuen Feldes der Astronomie erleben. Übrigens sind die Kosten für das Gravitationswellen-Observatorium LIGO im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Großprojekten doch recht gering. Der Kernfusionsreaktor ITER oder der Teilchenbeschleuniger LHC kosten jeweils über zehn Milliarden Dollar. LIGO kommt auf nur 1,2 Milliarden, verteilt über fast 30 Jahre.

Was bekommen wir denn für die 1,2 Milliarden Dollar?

Wir fangen gerade an, per Gravitationswellen hochenergetische physikalische Systeme zu erforschen, zu denen die Menschheit bislang keinen Zugang hatte, zum Beispiel Verschmelzungen von schwarzen Löchern oder Neutronensternen. Kombiniert mit der elektromagnetischen Beobachtung des Universums erschaffen wir außerdem eine Multi-Messenger-Astronomie, also eine Astronomie, die noch mehr Messmethoden kombiniert.

Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich dadurch?

Wir werden die Kollisionen von Neutronensternen untersuchen und dadurch viel Neues erfahren. Druck und Dichte bei diesen Ereignissen liegen weit über dem, was wir auf der Erde erreichen können – und die Gravitationswellen geben uns quasi ein Labor, in dem wir die Physik jenseits von allem, was auf unserem Planeten möglich ist, erforschen können. Natürlich werden wir auch nach wie vor binäre Schwarze-Loch-Systeme und ihre Population im Universum erforschen. Und wir stellen uns Fragen: Lauern in den Gravitationswellen vielleicht Kandidaten für die dunkle Materie? Werden wir bald etwas Unerwartetes finden, etwas, das über die Grenzen dessen hinausgeht, was wir uns heute vorstellen können?

Wie meinen Sie das?

Es scheint mir ein geradezu universelles Gesetz in der Wissenschaft zu sein, dass eine brandneue Technologie unweigerlich ganz neue Erkenntnisse über unser Universum bringt. Ich würde darauf wetten, dass die Gravitationswellen viele kleine und manche große Überraschung über das Universum enthüllen werden. Wir haben gerade erst angefangen, an der Oberfläche zu kratzen.

Zum Beispiel haben Sie 2017 eine Fusion von Neutronensternen gemessen — in 130 Millionen Lichtjahren Entfernung. Was ist es denn für ein Gefühl, wenn man zur Arbeit kommt — und plötzlich passiert so etwas?

„Plötzlich“ ist genau richtig. Es gibt nämlich keinerlei Ankündigung. Es ist ein Arbeitstag wie jeder andere und dann – peng! – ertönt ein Signal. An jenem Tag kam ich gerade in mein Büro, hatte mir einen Kaffee gemacht und wollte wie immer eine lange Liste von Störungen studieren, als mein Kollege reinstürzte und rief, dass es etwas Ungewöhnliches gebe. Wir fanden ein rund 20-sekündiges Signal – völlig anders als alle zuvor. Satelliten bestätigten zum selben Zeitpunkt einen Ausbruch an Gammastrahlung. Wir alle waren 24 Stunden lang high – und dann kam es sogar noch besser: Unsere Kollegen an den verschiedenen Teleskopen entdeckten mithilfe unserer ungefähren Koordinaten ein neues, helles Objekt am Himmel, das es Tage zuvor noch nicht gegeben hatte. 70 Teleskope hatten sich in diese Richtung gedreht, nur wegen unseres Signals! Und sie hatten etwas gefunden. Es war ein Rausch.

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Dr. Aidan Brooks ist leitender Wissenschaftler des LIGO-Observatoriums am Caltech, dem Kalifornischen Institut für Technologie.

 – Photograph by Stuart Isett. ©2018 Stuart Isett. All rights reserved.
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Die Forscher filtern täglich Tausende Störsignale für das hochempfindliche Laserinterferometer. Zum Beispiel ihre eigenen Schritte.

 – Photograph by Stuart Isett. ©2018 Stuart Isett. All rights reserved.

Woher wissen Sie eigentlich, was das ist, was Sie da als Kurve auf Ihrem Monitor sehen? Die Beobachtung von Gravitationswellen ist ja auf so spektakuläre Art indirekt. Verunsichert Sie das nicht?

Menschlich und emotional schon. Aber als Wissenschaftler bin ich trainiert, der Mathematik zu vertrauen. Dieses Vertrauen ist der Schlüssel zu allem, was wir tun – vor allem dann, wenn wir weit über menschliche Maßstäbe hinaus arbeiten.

Neben all der Mathematik: Was sind denn die technischen Voraussetzungen zur Messung von Gravitationswellen?

Da gibt es natürlich viele. Der alles entscheidende Faktor ist aber überall: Stabilität. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Bei voller Leistung zirkuliert im Laserinterferometer fast eine Million Watt Leistung. Obwohl wir Spiegel haben, die extrem gering absorbieren – weniger als ein Photon pro eine Million Photonen –, sind das am Ende einige Hundert Milliwatt, die der Spiegel aufnimmt. Der Druck der Photonen und die thermische Ausdehnung des Glases erzeugen sehr schwache Linsen in unserer Optik. Ich sage schwach und meine damit eine Größenordnung von zehn Kilometern Brennweite. Aber das ist für uns schon viel zu viel!

Was tun Sie dagegen?

Wir benutzen CO2-Laserstrahlen, die so präzise geformt sind, dass sie an der exakt richtigen Stelle diese zeitabhängige Verzerrung beseitigen. Ein Ausgleichslaser sozusagen. Es ist unheimlich wichtig, dass der Ausgleichslaser zu hundert Prozent stabil ist. Ob Sie es glauben oder nicht: Schwankungen der CO2-Laserleistung können sich als Quelle dominanten Positionsrauschens zeigen – selbst wenn sie bloß die Größenordnung eines Milliardstels eines milliardstel Meters haben!

Was sind die nächsten Schritte im LIGO?

Unser großes Ziel ist es, die Sensibilität unseres Detektors zu steigern. Wenn wir die Empfindlichkeit verdoppeln, erhöhen wir das Volumen der dann beobachtbaren Ereignisse um den Faktor acht. Im Moment arbeiten wir daran, die Quantenvakuumfluktuation zu hemmen. Und außerdem sind wir ständig dabei, Noise zu jagen. Wir nehmen uns CO2gerade ein Projekt für 2024 namens A+ vor. Wir werden hier eine brandneue Spiegelbeschichtung bekommen und eine neue, kühlere Methode, um Licht zu quetschen. Danach werden wir wahrscheinlich täglich ein oder zwei Gravitationswellen-Signale erhalten.

Sie arbeiten jetzt seit über zehn Jahren für LIGO. Bis 2015 war es gut möglich, dass Sie nie auch nur eine einzige Gravitationswelle würden messen können. Wie ist es, jahrelang an etwas zu arbeiten, mit so geringer Aussicht auf Erfolg?

Ich habe die Wahrscheinlichkeit gar nicht als so gering eingeschätzt, besonders nach dem massiven Empfindlichkeits-Upgrade auf Advanced LIGO 2015. Ja, das Projekt war ehrgeizig und extrem gewagt – aber es war kein reines Glücksspiel. Es basierte auf solider Wissenschaft. Mit Advanced LIGO wussten wir, dass wir große Chancen haben, Gravitationswellen zu messen – so groß, dass wir sogar unser Verständnis der allgemeinen Relativität hätten überprüfen müssen, hätten wir tatsächlich nichts gemessen. Es geht hier wieder darum, unserer Mathematik zu vertrauen. Unser Geldgeber, die National Science Foundation, hatte erkannt, dass ein Erfolg des Projekts das Potenzial hat, die Physik und die Astronomie zu revolutionieren. Und: Wir hatten das große Glück, dass wir schon wenige Tage nach unserem ersten großen Upgrade etwas entdeckten. So hatten wir überhaupt keine Zeit, zu verzweifeln und zu befürchten, dass wir keine Signale sehen.

Blicken Sie nachts eigentlich noch manchmal in den Sternenhimmel?

Ich lebe in Los Angeles, da sind die Sterne fast nie sichtbar. Wenn ich aber bei einem der beiden Detektoren bin, nutze ich manchmal die Gelegenheit, die Sterne zu bestaunen. Ich brauche allerdings die Hilfe einer Astronomie-App, um die Orte zu finden, von denen unsere Gravitationswellen kamen.

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