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Gabriel Pankow

Euro-7-Norm: TRUMPF Laser bremst Feinstaub

E uropa macht der Normalo-Bremse den Garaus: zu viel Feinstaubabrieb. Wer auf dem Kontinent Autos verkaufen will, braucht jetzt eine Lösung. Die Maschine der Firma Nagel laserbeschichtet quasi abriebfreie Bremsscheiben. Zwei Tricks bei der Strahlformung machen dem Prozess Beine.

Der meiste Dreck kommt nicht aus dem Auspuff. Bis zu 70 Prozent des Feinstaubs entstehen beim Fahren, weil sich Partikel abreiben von Reifen, Straßenbelag – und Bremsen. Das gilt auch für E-Autos. Rund 250.000 Europäer sterben jährlich einen vorzeitigen Tod wegen zu hoher Feinstaubbelastung, schätzt die EU-Umweltagentur EEA. Bisher hat die Europäische Union in den sogenannten Euro-Normen nur die Abgase von Benzinern und Dieselautos geregelt. Mit Euro-7 nimmt sie sich jetzt die Reifen und Bremsen aller Pkw vor. Autohersteller, die auch nach 2026 noch Neuwagen in der EU verkaufen wollen – also alle –, brauchen nun schnell eine Idee, wie sie den Abrieb ihrer Bremsen um 80 Prozent runterbekommen.

Harte Nuss

Dr. Claus-Ulrich Lott ist Geschäftsführer der Nagel Maschinen- und Werkzeugfabrik in Nürtingen. Während er durch den älteren, lichtdurchfluteten Teil des Hauptwerks läuft, zählt er auf: „Wie muss die Lösung aussehen? Erstens: Sie muss die Norm einhalten. Kaum Abrieb. Klar. Zweitens: Sie muss günstig sein. Bremsen sind ein Massenprodukt, da kommt es beim Stückpreis auf Cents an. Und drittens: Sie muss sich möglichst geräuschlos in den etablierten Produktionsablauf einfügen.“ Lott kommt vor der Erprobungsanlage für die Bremsscheibenfertigung zum Stehen. „Darum haben wir uns entschieden, eine Maschine zu bauen, die Bremsscheiben ultrahart beschichtet.“

Auf dem Maschinenrundtisch rotiert eine gusseiserne Pkw-Bremsscheibe unter einer Laseroptik und sieben Pulverzufuhrdüsen. Die Highspeed-Laserauftrag Schweißzelle, NaCoat genannt, trägt zwei Schichten auf. Zuerst eine 0,1 Millimeter dicke Haftschicht aus Edelstahl. Und obendrauf eine 0,2 Millimeter dicke Funktionsschicht, die mit ultraharten Partikeln aus Karbiden gespickt ist. „In dreißig Sekunden Bearbeitungszeit sieht die Oberflächenschicht unter dem Mikroskop aus wie eine Schokotafel mit ganzen Nüssen: Die Hartpartikel ragen hervor“, erklärt Lott. „So würde das den Feinstaub noch nicht reduzieren.“

Also kommt die Bremsscheibe in die Schleifmaschine NaGrind, die mit 36 Diamantwerkzeugen die Scheibe glatt schleift. Fertig ist die ultraharte Autobremsschreibe. Die Verschleißschicht ist ungefähr zehnmal härter als Standardgussscheiben und hält viel länger durch.


Links speist ein Scheibenlaser zwei Highspeed Beschichtungsmaschinen. Rechts bekommen die Scheiben den letzten Schliff.

Der Strahl macht's

Lott: „Die Idee, Bremsscheiben hart zu beschichten, liegt ja nahe. Doch wie?“ Drei Verfahren waren schnell abgehakt: elektrochemisches Beschichten – zu schmutzig. Thermisches Beschichten – zu langsam. Kaltgasspritzen – zu teuer und nicht für jede Scheibe geeignet. Lott entschied sich wegen des sauberen Prozesses und der kurzen Bearbeitungszeit für die Hochgeschwindigkeitsvariante des Laserauftragschweißens, das sogenannte Highspeed Laser Metal Deposition (HS-LMD).

„Doch die Probleme beginnen ja immer dann, wenn man eine gute Idee in die Tat umsetzen möchte“, lacht Lott, „Gusseisen zum Beispiel ist ein undankbarer Träger für Schichten.“ Sie bleiben einfach schwer haften, deswegen braucht es viel Pulver. „Das Pulver macht aber im Produktionsprozess der Bremsscheibe am Ende 60 bis 70 Prozent der Herstellkosten aus. Unsere Maschine muss also einen hohen Pulverwirkungsgrad erreichen, sprich: so viel wie möglich vom zugeführten Pulver ausnutzen.“ Wie kriegt Nagel jetzt den Pulververbrauch runter?

„Wir haben uns in der Entwicklung mit TRUMPF zusammengeschlossen. Und die wenden einen doppelten Trick bei der Strahlformung an.“ Die Strahlformungstechnik BrightLine Weld teilt die Laserleistung in eine unabhängig voneinander regelbare Kern- und Ringzone auf, ein bisschen wie ein Duschkopf mit Kern- und Ringstrahl. Energie- und Wärmeeintrag lassen sich so optimal einstellen. Zum einen heißt das, dass sich die Bremsscheibe kaum verzieht. Zum anderen fällt die Beschichtung deutlich dünner aus, braucht also weniger Pulver. Der zweite Gamechanger für den Pulververbrauch ist die Bifokaltechnologie von TRUMPF: Ein Teil des Laserstrahls wärmt das Gussteil leicht an, kurz bevor der Pulverschauer niedergeht. Dadurch haftet das Pulver sofort problemlos an, statt erst einmal abzuprallen und zu teurem Müll zu werden. Die Maschine nutzt während des Beschichtungsprozesses bis zu 94 Prozent des Pulvers aus. Nagel hat jetzt eine wirtschaftliche Produktionsmethode für Euro-7-konforme, abriebarme Bremsscheiben.


Dank der BrightLine Weld Lösung von TRUMPF haften bis zu 94 Prozent des Pulvers beim Beschichtungsprozesses an der Bremsscheibe.

E-Auto-Rostproblem nebenbei gelöst

Ein besonderes Zuckerl obendrauf gibt’s für alle E-Autofahrer: Nicht nur dürfen sie sich freuen, dass sie mit extraharter Bremsscheibe quasi fein staubfrei durch die Stadt surren. Die beschichtete Scheibe macht das E-Auto auch noch sicherer. Denn sie ist korrosionsbeständig, rostet also nicht. Und das ist vor allem für E-Autofahrer eine gute Nachricht. Denn E-Autos bremsen im Alltagsgebrauch fast immer per Rekuperation, also Energierückgewinnung. Hierbei entsteht ein Widerstand im Antriebsstrang, der das Fahrzeug bremst. Die mechanische Bremsscheibe wird nur selten benutzt und setzt Rost an.

„Wenn Sie dann mal auf der Autobahn bei hoher Geschwindigkeit eine Vollbremsung machen müssen, ist eine korrodierte Bremsscheibe extrem sicherheitskritisch: die sich dann lösenden Rostpartikel verlängern den Bremsweg deutlich“, erklärt Lott. Mit hartstoffbeschichteten Bremsscheiben muss sich aber niemand mehr deswegen Sorgen machen.

Reich und gesund

Lott hat vor zweieinhalb Jahren die Geschäftsführung bei Nagel übernommen und voll auf Transformation und Bremsscheiben gesetzt. „Unser bisheriges Geschäft hing stark am Verbrennungsmotor und nimmt spürbar ab. Mit unserer Lösung für Euro-7-konforme Bremsscheiben wollen wir ein antriebsunabhängiges Produkt anbieten und gleichzeitig in der Branche bleiben, in der wir uns am besten auskennen.“ Die Bestellliste gibt ihm recht: In den ersten sechs Monaten hat Nagel eine zweistellige Zahl Bremsscheibenanlagen für die Serienfertigung ausgeliefert.

Die Automobilhersteller und -zulieferer bereiten sich auf die große Euro-7-Umstellung vor. Das erste Auto mit hartstoffbeschichteten Bremsscheiben wird wohl Ende 2025 auf der Straße fahren: Umfangreiche Tests in Versuchsfahrzeugen laufen bereits. Lott ist stolz auf den geschäftlichen Erfolg, schwärmt aber nur kurz und wird dann ernst: „Es ist auch noch etwas anderes wichtig: Unsere Anlagen werden dazu bei tragen, dass die Menschen weniger Feinstaub aus gesetzt sind und gesund bleiben. Für mich ist das ein rundum befriedigendes Gefühl.“

In drei Schritten zur Euro-7-Bremsscheibe

  1. Die Greifer schnappen sich die Bremsscheibe mit seiner rohen, unbehandelten Gusseisen-Oberfläche und bringen sie in die Beschichtungskammer.
     
  2. Die Highspeed-LMD-Maschine trägt eine ultraharte Karbidschicht auf. Lasererwärmung und Strahlformung nutzen das Pulver maximal aus.
     
  3. Kreuzschliff: In der Schleifmaschine bekommt die Bremsscheibe ihre endgültige Oberfläche und Geometrie. Fertig.

 

Erfahren Sie hier mehr über das Laserauftragsschweißen von Bremsscheiben nach Euro-7-Norm. 

Erstellt am 23.05.2025
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